Bio in Kantinen: Behutsam starten
16.02.2023 Niederrhein
2015 haben die Landesfinanz- und Justizvollzugsschule NRW in Wuppertal-Ronsdorf ihre Schultore geöffnet. Seitdem werden hier rund 700 Anwärterinnen und Anwärter ausgebildet, die im Laufe ihrer Schullaufbahn mehrere Wochen am Stück in schuleigenen Gebäuden wohnen. Und diese 700 Menschen sowie das Schulpersonal müssen essen. „Die Mensa, die von beiden Schulen gemeinsam genutzt wird, ist auf rund 1 000 Essen ausgelegt. Die Azubis bekommen hier Vollverpflegung, also Frühstück, Mittag- und Abendessen, sowie den einen oder anderen Snack zwischendurch“, erklärte Rafael Platzbecker.
Das stemmt der Küchenchef gemeinsam mit seinem 18-köpfigen Team, zu dem vier gelernte Köche plus drei Azubis gehören und das sich im Rahmen der Zusammenlegung der beiden Schulen vor acht Jahren von bis dahin 200 Essen täglich auf besagte knapp 1 000 Mahlzeiten umstellen musste. „Damit hatten wir plötzlich eine ganz andere Verantwortung!“, so Platzbecker, der seit 29 Jahren beim Land NRW angestellt ist.
In anderen Küchen hospitieren
Umstellen müssen hätten sich er und sein Team auch in Sachen Speiseplan und Beschaffung der Lebensmittel. „Wie im öffentlichen Dienst üblich, waren auch die Handelspartner und Herkünfte unserer Lebensmittel ausschreibungspflichtig, wir mussten eine bestimmte Qualität unserer Verpflegung garantieren. Und um keine halben Sachen zu machen, haben wir uns dazu entschlossen, von Anfang an einen hohen Anteil an Produkten in Bioqualität zu verarbeiten“, erläuterte Rafael Platzbecker die Neuplanungen.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren auf ihn und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukommt, habe Rafael Platzbecker eine Möglichkeit gesucht, sich einen vergleichbar großen Betrieb einmal von Innen anzuschauen. Bei dem Kölner Versicherungsunternehmen Talanx sei er damals fündig geworden. „Wir haben uns drei Tage bei Talanx in Küche und Kantine, wo für 1 000 Leute mit einem Anteil an Bioprodukten von 85 % gekocht wird, umschauen dürfen, dem Team über die Schultern gesehen und alle Fragen gefragt, die uns auf der Seele brannten.“ So habe er dort über Preise und Bestellvorgänge genausoviel erfahren wie über die Zusammenarbeit mit Biometzgern und -bäckern.
Platzbeckers Fazit zu diesem Schnupperkurs: „Ich kann jedem und jeder, der mit der Außer-Haus-Verpflegung zu tun hat und plant, Bioprodukte in großem Maße zu verarbeiten, wärmstens ans Herz legen, vorher in einer anderen Institution zu hospitieren und aus allererster Hand erklären und zeigen zu lassen, welche Hürden zu nehmen sind, welche Einkaufsstrategien verfolgt werden, wie kalkuliert werden muss, wie hoch die Quoten liegen und welche Erfolge zu verbuchen sind. Unsere Küche steht dafür jederzeit offen!“, bot er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops seine Hilfe an.
Bio-Anteil Schritt für Schritt steigern
Der Küchenchef der Landesschulen empfahl außerdem, nicht zu schnell zu viel zu wollen, sondern den Bio-Anteil am Essensangebot sachte zu steigern. „Wir hatten uns damals überlegt: Rohkost als gesunde Beilage eignet sich besonders als Start mit Bioprodukten. Daher haben wir zunächst Obst, Salat und Gemüse in Bioqualität eingekauft und verarbeitet.“ Diese Entscheidung sei auch vor dem Hintergrund getroffen worden, dass eine Kantine des öffentlichen Dienstes kostendeckend arbeiten müsse und man den Speisenplan auch aus Kostengründen nicht adhoc auf Bio habe umstellen können. Und auch die „Basics“, wie die halt- und gut lagerbaren Trockenprodukte Nudeln, Reis, Kaffee, Kakao, deren Beschaffung zu bestimmten Preisen kalkulierbar sei, hätten relativ bald schon auf der Einkaufsliste gestanden.
Das behutsame Herantasten habe im Übrigen auch für die Mitarbeiter gegolten: „Das Küchenteam mussten wir ebenfalls mitnehmen bei der Idee, mehr frische Biowaren zu verwenden. Die Schalen einer Möhre in Bioqualität sollten zum Beispiel plötzlich nicht mehr in der Biotonne, sondern im Kochtopf landen, in dem der Jus für die Soßen köchelte. Und man braucht Leute, die wissen, was man im Winter aus Schwarzwurzeln kreieren kann - da sind Fachpersonal und Power in der Küche gefragt!“, so Rafael Platzbecker zu den anfänglichen Herausforderungen. „Man steckt nicht alle mit der Begeisterung für Bio an, muss aber jeden und jede versuchen, mitzunehmen und zumindest informieren und sensibilisieren.“
Mit Stand Januar 2023 verwenden Platzbecker und sein Team 63 % ökologische Produkte in der Vollverpflegung plus 5 % Fleisch von Neuland. Bei Obst, Salat und Gemüse sind inzwischen 90 % Bio. Die Beschaffung sei dabei im Laufe der letzten acht Jahre deutlich einfacher geworden. „Wir greifen nicht mehr nur auf den reinen Bio-Fach- und Großhandel zurück, sondern nutzen das Angebot von Transgourmet mit seiner eigenen Bio-Linie“, erläuterte Platzbecker beim Rundgang durch Küche und Lagerräume.
Und was sagen die Gäste?
Regelmäßig würden Anwärterinnen und Anwärter der Landes-Finanz- und Justizschule sowie deren Personal nach ihrem Feedback zum Essensangebot befragt. Dabei gehe es um positive sowie negative Kritik und Vorschläge für Neues. „Das Interesse der Gäste an den Herkünften der Lebensmittel ist verschieden ausgeprägt, aber definitiv vorhanden. Wir merken bei diesem steten Austausch aber auch, dass die jüngere Klientel deutlich interessierter ist als die ältere“, meinte Platzbecker und fügte hinzu, dass es eine riesen Chance sei, die Kantinengäste für Bioprodukte zu begeistern und somit deren Funktion als Multiplikatoren, die sie in ihrem Alltag außerhalb der Schule seien, zu nutzen. „Wir haben als Behörde eine große Strahlkraft!“, betonte der Koch und Küchenchef.
Am Ende des Rundgangs machte Platzbecker den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Mut zum ersten Schritt: „Jede Großküche hat Stellschrauben, die gedreht werden können, um Bio-Produkte in den Speiseplan zu integrieren! Und die findet jeder schnell heraus.“
Fazit der Veranstalter
Eigeladen zu dem Workshop samt Exkursion unter dem Titel „Bio auf den Teller - einfacher als gedacht!“ hatten a’verdis aus Münster und die Öko-Modellregion Niederrhein. Eva Löwen, a’verdis, und Kirstin Surmann, Managerin der Öko-Modellregion Niederrhein, zeigten sich sehr zufrieden mit der Veranstaltung: „Insbesondere der Vormittag kam unserem Eindruck nach sehr gut bei den Teilnehmenden an. Rafael Platzbecker konnte aber auch am Nachmittag noch einige Fragen beantworten. Alle waren bestens mit Informationen versorgt und möchten nun die Möglichkeiten für mehr Bio in ihren eigenen Betrieben prüfen“, so Eva Löwen.
„Ich hatte den Eindruck, dass die Teilnehmer alle anfangs sehr skeptisch waren, wie sie denn Bio-Produkte einsetzen können, ohne die Mehrkosten weiterzugeben. Durch den Workshop wurden nochmal Ansätze aufgezeigt, dass die Mehrkosten nicht das große Hindernis sein müssen, wenn man die richtigen Stellschrauben - natürlich individuell je Betrieb- dreht. Das hat ja auch Rafael Platzbecker betont. Anregungen haben auf jeden Fall alle mitnehmen können und angegeben, dass es Veränderungen in den Betrieben geben soll. Auch der Austausch untereinander wurde offensichtlich genossen. Viele schienen offen für weitere Netzwerk-Aktivitäten. Die Offenheit, mit der über die Entwicklung, Philosophie und Strategie der Küche vor Ort gesprochen wurde, haben alle gleichermaßen gelobt und als wertvoll empfunden. Natürlich sind Betriebe sehr unterschiedlich, aber Grundsätzliches kann übertragen, Inspirationen gesammelt und Motivation mitgenommen werden“, war auch Kirstin Surmann überzeugt vom Nutzen dieses Workshops.
Meike Siebel,
Landwirtschaftskammer NRW